Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass ich etwas zum Thema SEOBegriffsdefinition) schreibe. Nicht, dass ich mich als SEO-Experten bezeichnen würde, aber als Blogger, Webmaster bzw. Webentwickler eignet man sich quasi beiläufig Grundwissen auf diesem Gebiet an.

Bei oberflächlicher Betrachtung mutet dieses Thema immer etwas wie Kaffeesatzleserei oder der Blick in die Glaskugel an. Das mag daran liegen, dass die zugrundeliegenden Regeln sich einerseits ständig verändern, aber andererseits neben wenigen harten Fakten auch stets sehr viel Spekulation zu lesen ist. Selbst professionelle SEO-Agenturen scheinen manchmal ihren Kunden Ratschläge zu geben, die auf nicht nachvollziehbaren Grundlagen basieren.

Der konkrete Anlass zu diesem Artikel war eine E-Mail, die ich vor zwei Wochen erhielt:

Hallo Herr Stingl,

ich möchte Sie bitten, den Link von Ihren Seite zu entfernen, der zu meiner Webpräsenz [Domain] führt:

[Seite auf meinem Blog]

Danke vielmals für Ihre Mühe!

[…]

Neugierig, wie ich bin, fragte ich nach dem Grund für dieses Ersuchen und bekam folgende Antwort:

Eine SEO-Agentur hat für meine Seite eine Backling-Analyse durchgeführt. Dabei ist (neben unzähligen anderen Links) auch Ihre Seite aufgetaucht, die nicht wirklich themenrelevant zu meiner Seite ist und trotzdem auf mich verlinkt.

Losgelöst davon scheint mir der Beitrag ein gekaufter Artikel von [Linkziel] zu sein (Artikelaufbau, URL-Bezeichnung etc), die seinerzeit auf diesem Weg unzählige Backlinks eingekauft haben. Das ist ein weiterer Grund, warum ich die Verlinkung dort gern rausnehmen lassen würde. Mein Domainnam/URL kann ja stehen bleiben, nur wie gesagt keine Verlinkung – oder einfach ein rel=“nofollow“ zum href setzen.

Alternativ lasse ich den Link von Google über das Google Disavow Tool entwerten – aber der erste und faire Schritt ist immer das Anschreiben des Webseitenbetreibers.

Danke nochmals für die Mühe!

Da ich nicht der Einzige in der Blogosphäre bin, der E-Mails dieser Art bekommt, war es relativ leicht, sich einen Überblick zu verschaffen, was es mit diesem Google Disavow Tool auf sich hat.

Das Google Disavow Tool

Disavow ist vom französischen Verb désavouer abgeleitet, ebenso wie das eingedeutschte desavouieren. Dazu die Bedeutungen bei Wiktionary:

  1. leugnen, widersprechen, nicht anerkennen
  2. bloßstellen, herabwürdigen, im Stich lassen, brüskieren
  3. herausdrängen, entfernen
  4. schänden (in Kulturgeschichte durch Anspielung auf Symbolträchtigkeit ohne deren Gehalt od. Wirkung zu rühmen)

Auf den deutschen Google-Seiten wird das Tool mit „Links für ungültig erklären“ bezeichnet. Die Funktionsweise ist denkbar einfach: Alle Links die man als Webmaster bzw. SEO-Agentur als unvorteilhaft einstuft, und die man deshalb von Google als „ungültig“ einstufen lassen möchte, schreibt man in eine Text- oder CSV-Datei und lädt diese dann auf der entsprechenden Seite bei Google hoch. Nach einiger Zeit zieht dann Google diese Links nicht mehr in die Berechnung des Rankings mit ein.

Etwas ausführlicher und leicht verständlich wird dies u. a. auf dem comspace Blog erklärt. Dort ist auch zu lesen:

[…] Der Irrglaube, dass mit dem Disavow Tool anderen Websites geschadet werden kann, existiert eigentlich schon seit der ersten Version des Tools. Doch das Disavow Tool dient lediglich dazu, der Suchmaschine Google mitzuteilen, dass in der Vergangenheit ein Fehler gemacht wurde und eventuell Links manuell aufgebaut wurden oder andere Personen diese aufgebaut haben. Links werden somit als nicht gültig erklärt – eine Website wird dadurch nicht abgewertet, […]

Aber gibt es für solche eine Aussage Belege? Es gibt – zumindest einen: Auf der Seite Search Engine Watch, im Artikel „7 Things You May Not Know About Google’s Disavow Tool“ wird John Mueller von Google Zürich zitiert:

When it comes to the disavow links tool, at the moment we are not using that data in any way against the sites that are being disavowed because there are just so many reasons why a link might be disavowed. It might be that it’s a perfectly fine site but for some reason the ads on that site are passing PageRank and maybe the webmaster is not aware of that and that’s not something that we would say, „Oh, this is a spammy site“, because some of these ads are passing PageRank. Or maybe they have comments on a blog or on articles that they publish and people have been spamming those comments. Just because those links are in someone’s disavow file, it doesn’t mean that the content on that site is necessarily bad.

Das Zitat stammt aus einem Google-Webmaster-Central-Hangout, einer Art Online-Sprechstunde mit Google-Mitarbeitern. Bemerkenswert ist an dem Zitat allerdings die Formulierung zu Beginn, „at the moment“. Die Aussage stammt vom Juni 2013. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Google zu einem späteren Zeitpunkt die durch das Disavow Tool gesammelten Daten zur Berechnung der Rankings der gemeldeten Seiten einmal benutzen wird.

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es dafür allerdings keine konreten Hinweise, dafür aber umso mehr Spekulationen. Als Beispiele seien zwei Artikel auf dem tagSeoBlog nebst den zugehörigen Diskussionen in den Kommentaren genannt:

Wie gefährlich ist das Disavow Tool nun wirklich?

Zusammenfassend kann man sagen: Für ein konkrete Gefahr, die davon für die gemeldeten Webseiten ausgeht, gibt es bisher keine Belege. Eric Kubitz antwortet im SEO-Book auf die Frage „Schadet ein Disavow-Eintrag meiner Seite?“:

[…]

Also: Bei wenigen Disavow-Einträgen empfehle ich dir, locker zu bleiben. Und wer dir mit “Petzen” droht, dem drehst du eine lange Nase und machst deine eigentliche Arbeit weiter.

Und so bin ich bei der (unterschwelligen) Drohung mit dem „Petzen“ mittels Disavow Tool locker geblieben. Allerdings haben andere auch ihre Gründe, weniger locker zu bleiben und legen diese auch dar, als Beispiel sei hier das Besserwerberblog zitiert:

[…]

Was sich, mit viel gutem Willen und bar jeder Kenntnis von SEO und Online-Marketing, vielleicht noch als freundliche Bitte lesen lässt, interpretieren wir anders, nämlich als

unlauterern Wettbewerb, Nötigung, üble Nachrede…

Und aus diesem Grunde ziehen wir es jetzt einfach mal durch und erstatten Strafanzeige gegen SEO-Agentur und SEO-Kunden.

Den Betroffenen wird es unser Anwalt sicher besser erklären, unseren Lesern wollen wir unsere Einschätzung in bewusst knapp gewählten Worten vermitteln.

[…]

Auch eine Sichtweise. Nicht unbedingt meine. Mir nötigt das durch SEO-Kunden multiplizierte Halb- bzw. Falschwissen einiger SEO-Agenturen allenfalls ein Kopfschütteln ab. Vielleicht sollte ich in Zukunft bei solchen Anfragen tatsächlich mit einer Bearbeitungsgebühr „zurückdrohen“ …

Eine Anmerkung noch zu dem in der oben zitierten E-Mail geäußerten Verdacht, der besagte Artikel sei durch Linkkauf entstanden. Davon spreche ich mich hiermit öffentlich frei: Eine Zahlung habe ich für einen Beitrag hier im Blog nie erhalten. Alle Beiträge, die in der Hoffnung auf eine Sachleistung entstanden sind, sind eindeutig mit dem Tag Gewinnspielfalle gekennzeichnet.

Warum der Artikel dennoch in den Verdacht geraten kann, gekauft worden zu sein, lässt sich vielleicht folgendermaßen erklären: Er ist im vierten Monat meiner Tätigkeit als Blogger entstanden, eine gewisse Anfänger-Naivität war mir durchaus noch eigen. Alle Aussagen darin waren zum damaligen Zeitpunkt wahr. Es mag sein, dass ich bei der Recherche auf viele ähnliche Blogartikel gestoßen bin. Es mag auch sein, dass all die anderen Bloggger „gekauft“ waren. Ich selbst war allerdings von der vorgestellten Dienstleistung tatsächlich überzeugt, habe diese auch mehr als einmal testweise in Anspruch genommen und hatte nichts daran auszusetzen. Und nur deshalb habe ich sie hier im Blog vorgestellt.

Bleibt die Frage an die Leser, die bis hierher geslesen haben: Wie sind Eure Erfahrungen mit solchen Anfragen bzw. dem Google Disavow Tool allgemein?