In den letzten Tagen kursiert in den sozialen Medien eine Balkengrafik mit dem Titel „Hier haben sich Zürcherinnen und Zürcher angesteckt“. In einer lustigen Variante ist darauf noch in roten Buchstaben die Aufforderung „Bleiben Sie im Theater! Zuhause ist es zu gefährlich.“ hinzugefügt.

Was hat es mit dieser Grafik auf sich? Woher stammt sie? Stimmen diese Daten? Was sagt sie aus und was nicht? Im Folgenden ein paar Antworten und Hintergrundinformationen.

Quelle: Tages-Anzeiger

Die Grafik entstammt dem Artikel „Was Kriegsbomber mit Zürichs Corona-Strategie zu tun haben“ von Simon Huwiler im Tages-Anzeiger vom 17.10.2020. Der Artikel ist nach Anmeldung online einsehbar (die ersten 30 Tage kostenlos). Den Inhalt des Artikels möchte ich hier nicht bewerten, hier soll es ausschließlich um die Grafik, die ihr zugrundeliegenden Daten und damit verbundene mögliche Aussagen gehen.

Im Online-Artikel liegt die Grafik als eingebetter iFrame vor. Unten an der Grafik befinden sich Quellenangaben, auch die zugrundeliegende Rohdaten selbst können direkt als CSV-Datei abgerufen werden:

Grafik: shu • Quelle: Kanton ZürichDaten herunterladen

Vergleicht man die in der Grafik verwendeten Daten mit den vom Kanton Zürich abrufbaren offenen Behördendaten, stellt man fest, dass die Fallzahl(en) für den dargestellten Zeitraum (vermutlich durch Nachmeldungen) inzwischen geringfügig höher sind. Prinzipiell scheinen die verwendeten Daten aber nachprüfbar integer.

Was wird verschwiegen?

Abgesehen davon, dass die Grafik meistens nur als Ausschnitt verbreitet wird, sind die Zahlen an sich also in Ordnung und nachvollziehbar. Allerdings gibt es ein gravierendes Problem mit dieser Darstellung: Die Balkengrafik wird aus dem Kontext gerissen, in den seltensten Fällen wird die Quelle (Tages-Anzeiger) mit verbreitet. In dem Artikel im Tages-Anzeiger gibt es allerdings noch eine zweite Grafik, die ein vollständigeres Bild zeigt: Den 318 Fällen, denen ein Ort der Ansteckung eindeutig zugeordnet werden kann, werden weitere 972 Fälle gegenübergestellt, bei denen der Ort der Ansteckung unbekannt ist. Also lediglich 24,7 % der Fälle kann überhaupt ein Ansteckungsort eindeutig zugeordnet werden. Bei 75,3 % der Fälle war das nicht möglich.

Das relativiert die Aussage der so gerne und oft geteilten Balkengrafik dann doch erheblich.

Denn unter den 972 Fällen ohne eindeutig mögliche Zuordnung könnten ja durchaus etliche Ansteckungen in Kino/Theater/Konzert enthalten sein. Eindeutige Aussagen, sowohl in die eine wie die andere Richtung, wären reine Spekulation.

Jodel-Musical als Ort der Ansteckung

Komponist und Bad-Blogger Moritz Eggert weist in einer Diskussion zu der Grafik auf Facebook darauf hin, dass im zugrundeliegenden Zeitraum das im Moment viel diskutierte Superspreading-Event in der Mehrzweckhalle MythenForum in Schwyz stattgefunden hat. Schwyz liegt lediglich 50 km von Zürich entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand aus Zürich bei besagtem Event in Schwyz infiziert hat, ist also durchaus gegeben.

Was kann man sagen? Was nicht?

Die Grafik kann einen ungefähren Eindruck vermitteln über Verhältnisse von Zahlen in Bezug auf bekannte Orte, an denen Infektionen stattfinden. Dabei sollte man sich allerdings bewusst sein, dass daneben eine erhebliche Dunkelziffer an Infektionen ohne eindeutige Zuordnung existiert.

Was man (leider) aufgrund einer solchen Grafik nicht behaupten kann, ist, dass in Kino/Theater/Konzert keine Infektionen stattfänden.

Auch wenn Berichte über die Salzburger Sommerfestspiele Mut machen und Aktivisten dazu animieren, mehr Publikum in Theatern und Konzertsälen zuzulassen, sollte man sich immer bewusst sein, dass vor allem erfreuliche Ergebnisse im Sommer auch mit niedrigen Inzidenzzahlen zusammenhängen. Solche Konzepte aus dem Sommer einfach in den Herbst und Winter zu übertragen, birgt ein gewisses Risiko in sich.

Auch wenn es schmerzhaft für alle Beteiligten ist: Es gibt Gründe, warum eine Kulturinstitution wie die Bayerische Staatsoper eine aufwändige Evaluation ihres Hygienekonzeptes vornehmen, damit Rückschlüsse auf einer validen Basis stehen.