In letzter Zeit sind mir in der Blogosphäre zwei Diskussionen besonders aufgefallen.

Es ist geil, ein Arschloch zu sein?

Zu der ersten möchte ich inhaltlich nichts sagen, sie aber dennoch hier erwähnen, weil man anhand ihrer sehr deutlich einige Merkmale einer Dikussionskultur im Internet nachvollziehen kann. Robert Basic brachte den Stein ins Rollen mit seinem Artikel „Die Schönheit des Bloggens: Zeige Deine miesen Seiten“. Ein zentraler Befriff darin, an dem sich die weitere Diskussion entzündete und in dem sie sich (verkürzt ausgedrückt) fokussiert hat, ist der Begriff Arschloch und seine mannigfaltigen Deutungsmöglichkeiten und mögliche Konsequenzen aus der Identifizierung damit. Ohne weiter darauf eingehen zu wollen, seien hier einige Reaktionen darauf in einigermaßen chronologischer Reihenfolge aufgezählt: Felix Schwenzel, Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, Jens Stoewhase, Kiki Thaerigen (ihr Artikel nebst
Kommentarstrang ist inzwischen anscheinend unwiederbringlich verloren gegangen), Thomas Gigold, Johnny Haeusler, nochmals Robert Basic, Anne Schüßler, Weltherrscher, Georg Rosenbaum, Jog, Feylamia und Das Nuf.

Wenn man all diese Beiträge nebst ihren zugehörigen Kommentarsträngen lesen will, braucht man viel Zeit, aber wahrscheinlich auch sehr viel Geduld und Toleranz. Letztere könnte bei einigen Menschen auch überstrapaziert werden. Allerdings bietet sich auch ein Einblick in ein sehr breites Spektrum an Meinungen und Weisen selbige kundzutun.

Hochbegabt und hoch sensibel

An das Buch „Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel?“ von Andrea Brackmann wurde ich spontan erinnert, als ich auf die zweite Diskussion stieß. Auslöser jener Diskussion war Meike Lobos Artikel „Alien Nation“. In ihrem unnachahmlichen Schreibstil, der ihre Emotionen sehr plastisch werden lässt, beschreibt sie ihr Isolationsgefühl, das durch ein stark wahrgenommenes Anderssein hervorgerufen wird, und wie sie einen Erklärungsansatz dafür gefunden hat: die (Selbst-)Diagnose Hochbegabung. Einige Tage später reflektiert Meike Lobo die Reaktionen auf ihren Artikel in einem weiteren Artikel.

Der Widerhall in der Blogosphäre auf diese beiden Artikel, die auch mich stark bewegt haben, ist nicht so groß wie bei der Diskussion zur A********-Thematik. An Blogartikeln habe ich lediglich einen kritischen Beitrag von Philippe Wampfler, einen klärend-zustimmenden von Isabel Bogdan, einen weiteren zustimmenden von Tilla Pe und einen von Christian Fischer, der die Art der Debatte beklagt, wahrgenommen.

Dazu kommen allerdings die jeweiligen Kommentarstränge zu den Artikeln. Besonders der bei Meike Lobo hat inzwischen eine beachtliche Länge erreicht. Auch ich konnte mich einiger Meinungsäußerungern dort nicht enthalten. Das Thema wird dort sehr kontrovers dikutiert. Neben viel Zustimmung, Dank und weiteren Hochbegabungs-Outings gibt es allerdings auch einiges zu lesen, was vielleicht mit Polemik, Anfeindung, unsensiblem Drüberbügeln einerseits, aber andererseits auch mit viel Unkenntnis beschrieben werden könnte. Und so zeigen sich leider auch bei dieser Thematik starke Parallelen zur oben erwähnten A********-Diskussion.

Hochbegabung – Outing: ja oder nein?

Ich selbst habe die Diagnose Hochbegabung – regelmäßige Leser meines Blogs werden sich erinnern – Ende des Jahres 2008 erhalten und bin damit zunächst sehr offensiv umgegangen. Sowohl hier im Blog als auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis habe ich diese Information sehr freimütig preisgegeben. Dabei habe ich allerdings etwas unterschätzt, was eine solche Information bei einigen Menschen auslöst, die nur eine vage bis gar keine Vorstellung von der Bedeutung des Faktes „Hochbegabung“ haben. Sehr gut bringt dies ein Kommentar von Meike Lobo zu ihrem Artikel auf den Punkt:

[…] ich finde es ziemlich dramatisch, dass das Phänomen so dermaßen negativ belegt ist, dass selbst die, die es (vermutlich) sind, nichts davon wissen wollen. Das Wort “Hochbegabung” impliziert dieses “Ich bin besser als Du” so stark, dass diejenigen, die es nicht sind, sich bedroht und gedemütigt fühlen, und diejenigen, die es sind, sich dafür schämen, was sie mit ihrer naturgegebenen Andersartigkeit auslösen könnten. […]

Auch ich habe unter meiner Andersartigkeit lange und immer wieder gelitten, wenngleich wahrscheinlich nicht so stark wie Meike Lobo und andere Hochbegabte. Aber mir hat das Bewusstsein um ein biometrisches Merkmal, das für einen Großteil meiner Andersartigkeit ein gutes Erklärmodell bietet, und der Austausch mit relativ vielen anderen, ebenfalls diagnostizierten Hochbegabten sehr geholfen, nicht mehr damit zu hadern. Ich wurde in vielen Situationen und Fragen des Lebens ruhiger und gelassener.

„Du denkst wohl, Du seist ‚was Besseres!“

Kurze Antwort: ja.

Lange Antwort für all diejenigen, deren Scheuklappen sich bei der kurzen noch nicht vollständig verschlossen haben:

Wer mich kennt, weiß, dass ich an viele Fragen und Probleme sehr rational herangehe. Und daher finde ich es wichtig, dass man Begriffe zunächst einmal definiert, bevor man sie verwendet, um Missverständnisse wenigstens ein wenig zu minimieren:

Gut, schlecht, besser, schlechter, gleich

Begriffe wie „gut“ und „schlecht“, bzw. deren Komparative, brauchen ein Bezugsystem um überhaupt sinnhaftig werden zu können. Fehlt ein Bezugsystem, so kann man den zugehörigen Wert schlicht nicht ermitteln bzw. benennen. Das beste Beispiel dafür ist der vieldikutierte „Wert des Menschen“. Solange ich zu diesem Wert kein Bezugsystem nenne, kann der Schluss nur lauten: Alle Menschen sind gleich viel wert (Meiner rational-pessimistischen Weltsicht nach könnte der Schluss sogar lauten: Alle Menschen sind nichts wert).

Von Menschen mit monotheistisch geprägtem Weltbild hört man oft den Satz: „Vor Gott sind alle Menschen gleich.“ Die sarkastische Variante meiner Erwiderung darauf war manchmal: „Das mag sein, aber falls Du es noch nicht gemerkt haben solltest: Ich bin nicht Gott!“ Will sagen: Ich habe selbstverständlich meine eigenen Wertmaßstäbe, und die wechseln eben je nach Beurteilungskriterium.

Ein Beispiel: Meine Körperlänge beträgt 190 cm. Wenn ich auf ein Rockkonzert gehe, bin ich sehr froh darüber, weil ich auch noch aus einiger Entfernung zur Bühne selbige relativ gut einsehen kann, was Menschen mit einer Länge von lediglich 160 cm erheblich schwerer fällt. Hier fühle ich mich tatsächlich besser. Anders sieht es dagegen in einem Bett von lediglich 190 cm Länge mit hohen Kopf- und Fußteilen aus, welches mir in der Nacht Beulen bzw. Druckstellen an Kopf und Füßen beschert. Hier fühle ich mich von der Evolution schlecht ausgestattet.

Dieses Beispiel lässt sich auf meine kognitiven Fähigkeiten, über die ich kraft meiner diagnostizierten Intelligenz verfüge, übertragen: Wenn es von Vorteil ist, bestimmte Sachverhalte schneller zu durchdringen, dann bin ich in Besitz dieses Vorteils. Sollte ich mich eines gewissen Überlegenheitsgefühls darob schämen? Ich wüsste nicht, warum. Andererseits hat Meike Lobo sehr anschaulich beschrieben, wie einen eine eigene Art zu denken (und zu fühlen) auch stark zum Außenseiter machen kann: Eine gewisse Sprunghaftigkeit der Gedankengänge und für andere seltsam anmutende Interessen, um nur zwei Beispiele zu nennen, können einen im (diesen Merkmalen nicht) entsprechenden Umfeld leicht sehr einsam werden lassen. Das sind dann Situationen, in denen sich ein Überlegenheitsgefühl nicht so recht einstellen will …

Zusammengefasst muss die lange Antwort also lauten: Kommt darauf an. Eine Understatement nur um einer Political Correctnes willen ist mir allerdings zuwider. Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Einstellung einige Menschen zunächst einmal brüskiere. Menschen, die sich jedoch mit mir auseinandersetzen (wollen), können leicht hinter diese Fassade blicken.

Früher habe ich unter dem Vorwurf der Arroganz gelitten. Inzwischen schaue ich, wenn dieser Vorwurf mal wieder auftritt, genauer hin und versuche herauszufinden, warum er zustande kommt. Und dann lässt sich meistens sehr schnell herausfinden, ob es die Mühe lohnt, gegen dieses (Fehl-)Urteil anzukämpfen.

Zum Thema Mensa

Das Thema Mensa, der Verein für Hochbegabte, taucht in den Kommentaren zu Meike Lobos Artikel auch öfter auf. Ich möchte darauf wenig im Einzelnen erwidern. Deshalb nur ein paar persönliche Gedanken: MinD (Mensa in Deutschland e. V.) hat inzwischen über 10.000 Mitglieder. Ich bin davon schätzungsweise ca. 2.000 in irgendeiner Form begegnet. Kommuniziert in irgendeiner Form habe ich davon mit etwa 100. Ich bin der Auffassung, diese Zahl ist zu gering, um daraus irgendwelche allgemeingültigen Aussagen über Mensamitglieder oder gar Hochbegabte im Allgemeinen ableiten zu können. Deshalb nur soviel: Es gibt bei Mensa (wie in der restlichen Welt) sehr verschiedene Menschen. Aber durch die hohe Mitgliederzahl und die vielfältigen Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten, halte ich die Wahrscheinlichkeit für sehr hoch, dass jeder Hochbegabte dort Gleichgesinnte oder gar Seelenverwandte treffen kann, auch wenn es bei einigen nur sehr wenige sein werden.

Schlussgedanken

Das Thema ist uferlos, ich könnte noch sehr viel dazu schreiben – werde ich wahrscheinlich in Zukunft auch. Gerade zu den theoretischen Konzepten der Intelligenz, dem Begriff Hochbegabung usw. kam es ja bereits in meinem Outing-Artikel in den Kommentaren zu Diskussionen, die ich gerne fruchtbar weiterführen würde. Aber dies, wie gesagt, in einem anderen Artikel.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle Meike Lobo nochmals meinen Dank aussprechen für ihren offenen Umgang mit der Thematik. Wenn wir uns verstecken und unsere Andersartigkeit verschweigen, dürfen wir nicht auf Verständnis hoffen. Erst der offene Umgang mit einem Thema kann einen Denkprozess in Gang bringen. Und nur mit einem solchen Denkprozess ist vielleicht ein kleines Stückchen Toleranz mehr möglich.